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23 September 2010

Thurgauer Tagblatt 2010: Jagen lasse ich Andere

Posted in In den Medien



Markus Brandes lebt und arbeitet in seinem Haus in Kesswil mit den grössten Stars aller
Zeiten – zumindest mit ihren Unterschriften. Er ist Autogrammhändler. 10 000
Handschriften hat er im Angebot, auch jene von Napoleon, Albert Einstein oder Otto von
Bismarck. Und er bürgt für deren Echtheit.

Grace Kelly auf einem frühen Foto mit Widmung kostet 3000 Franken. Eine Unterschrift von
Audrey Hepburn bekommt man schon für 800 Franken. «Audrey hat lange gelebt und viel signiert
– das ist gut für die Fans, aber schlecht fürs Geschäft», sagt Markus Brandes. Schlecht für sein
Geschäft – denn der Kesswiler ist Autogrammhändler. Er verdient sein Geld mit dem An- und
Verkauf von Autogrammen und Schriftstücken bekannter Persönlichkeiten.

9950 für George Washington


Der 33-Jährige hat sie alle: John F. Kennedy, Brigitte Bardot, Otto von Bismarck, Wassili
Kandinsky, Jimi Hendrix und Napoleon Bonaparte. Sicher archiviert und geschützt liegen die
Unterschriften der Stars, Politiker, Kriegsherren und Künstler in seinem Büro. 10 000 Schriftstücke
hat Brandes zurzeit im Angebot. In einem 260 Seiten dicken Katalog hat er seine Schätze
aufgelistet von A wie Albert Einstein bis W wie Washington George. Oft sind es nur flüchtige
Schriftzüge, manchmal aber auch Briefe, Postkarten oder gar Staatsverträge.
Und im Fall von George Washington, dem ersten Präsidenten der USA, ist es ein Friedensvertrag
zwischen Grossbritannien und den Vereinigten Staaten (Kostenpunkt: 9950 Euro). Brandes
interessiert sich für alles, Hauptsache von Hand geschrieben – «ich bin absolut fasziniert von
Handschriften» – und Hauptsache echt, denn dafür garantiert der gebürtige Deutsche –
lebenslang.
«Sollte sich in 20 Jahren herausstellen, dass ein von mir verkauftes Autogramm gefälscht ist,
bekommen Sie Ihr Geld zurück.»

150 Weihnachtskarten
«Autogrammhändler, das ist doch kein Beruf», sagen die Leute zu Brandes, wenn sie hören,
womit er sein Geld verdient. «Doch», antwortet er, «man muss es nur gut machen.» Er macht es
ziemlich gut. Schlechte Geschäftsmänner bekommen nicht 150 Weihnachtskarten von ihren
Kunden.
Brandes handelt mit Autogrammen wie andere mit Antiquitäten: aufstöbern, einkaufen, prüfen,
verkaufen. Die Zeiten, in denen der 33-Jährige selber nach Autogrammen jagte, sind schon länger
vorbei. Heute lässt er jagen. Seine Mitarbeiter in Cannes, Berlin und Paris stehen für ihn an den
roten Teppichen.

80 bis 90 Prozent sind gefälscht
Er selbst verbringt die meiste Zeit am Computer und Archivraum in seinem Haus in Kesswil.
Er recherchiert, nimmt an Auktionen teil, tauscht sich mit Autogrammhändlern aus der ganzen
Welt aus und überprüft akribisch seine erworbenen Dokumente. «Reputation ist in dieser Branche
alles», sagt er. Denn 80 bis 90 Prozent der im Internet angebotenen Autogramme seien
Fälschungen. Die meisten erkennt er auf den ersten Blick.
Da geben Linkshänder wie Ayrton Senna plötzlich rechtshändig Unterschriften, oder es
unterschreibt eine bereits verstorbene Person auf einem nach dem Todestag entwickelten Foto.
«Die Fälscher sind skrupellos und viele Käufer naiv.» Brandes erzählt, dass einen Tag nach
Michael Jacksons Tod, auf eBay rund 500 Autogramme des King of Pop zum Verkauf angeboten
wurden. «Höchstens drei davon waren echt – gekauft wurden alle.
 

Beatles auf den Monat genau
Über 200 000 Unterschriften kann Brandes auswendig abrufen. Bekommt er ein Plakat mit den
Unterschriften aller vier Beatles in die Hand, kann er auf drei bis vier Monate genau sagen, wann
die Autogramme gegeben wurden. Unlängst wurde er denn auch für seine Verdienste im Kampf
gegen Fälschungen ausgezeichnet (Kasten).
Dabei würde man ihm – der äusserlich auch als Surflehrer durchgehen würde – eine derartige
Passion gar nicht geben.

Vom FC Bayern zu A. Schweitzer
Es war der Sport, der ihn zu seinem heutigen Beruf brachte. Als 13-Jähriger schwärmte er für den
FC Bayern München und begann die Spieler um Autogramme zu bitten. Als die Mannschaft
komplett war, weitete er seine Sammlung auf andere Clubs aus, später auf andere Sportarten.
Die Sammlung wuchs, und bald flatterten monatlich gegen 300 Briefe mit Sportler-Autogrammen
ins Brandes'sche Haus. Er begann mit den Autogrammen zu handeln und machte sich mit gerade
mal 21 Jahren als Händler selbständig. Heute lebt er vom Verkauf von Autographen. Seine Mutter
betreut den «Schnäppchenverkauf» – Autogramme von zeitgenössischen Prominenten, die
zwischen 10 und 300 Franken kosten.
Sein eigenes Spezialgebiet hat wenig mit der Show-Welt von heute zu tun. Sondern dreht sich um
Afrika, um Humanität und Ethik. Der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer hat es ihm
angetan. 200 handgeschriebene Briefe hat er von Schweitzer zusammengetragen und jüngst ein
Büchlein über ihn herausgeben

Ursula Andress getroffen
Für Brandes sind Autographen Türöffner in andere Welten.
Er, der gelernte Informatiker, wurde so zum Experten für alte Handschriften, kennt sich in
arabischer Geschichte, im chinesischen Kaiserreich und Napoleons Kriegsführung aus. «Diese
Dokumente erzählen unglaubliche Geschichten», schwärmt er.
Seine Begeisterung ist ansteckend, seine Anekdoten unterhalten bestens. Immer wieder steht er
während des Gesprächs auf, holt ein Foto von Silvester Stallone und Jimmy Carter, zückt eine
Autogrammkarte von Ursula Andress. «Herzlich für Markus Brandes», steht darauf.
Es ist ein Bubentraum, den er lebt und von dem er lebt. Die meisten Trouvaillen würde er denn
auch gerne selbst behalten, sagt er und verschwindet schon wieder. Sekunden später kehrt er mit
Muhammad Alis Boxhandschuh aus seinem letzten Sieg 1978 zurück. «Nicht schlecht oder?», sagt
er und strahlt.
www.autogramme.com


Dealer of the year
Obwohl erst 33 Jahre alt, hat der Kesswiler Markus Brandes sich bereits einen guten Ruf als
Schriftsachverständiger erworben. Er wurde diesen Mai für seine Verdienste im Bereich der
Fälschungsaufdeckung in Birmingham von der grössten Sammlervereinigung Aftal zum
«Autograph Dealer 2010» ernannt.

» Bei jedem Autograph, welches er angeboten bekommen, gehe er zuerst von einer Fälschung
aus. «Die Echtheit muss bewiesen werden.»

Thurgauer_Tagblatt_09_2010.pdf

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