12 September 2013

Warum und was sammelt der Mensch ?

Posted in Autographensammler Philosophie

by Jan van der Lip (Für meine Enkel)

Über die „Tätigkeit des Sammelns“ ist gewiß schon viel geschrieben worden, und irgendwann einmal fragt sich wohl fast jeder Sammler : „Ist mein Sammeln eigentlich eine Sucht ?“ oder lautet die Antwort eher : „ich sammle – also bin ich“ ?

In grauer Vorzeit war es sicherlich eine unbedingte Lebensnotwendigkeit, z.B. Früchte, Pilze oder andere Vorräte wie Fleisch und Fisch haltbar zu machen und zu sammeln, denn besonders in den gemäßigten Breiten mit ihren strengen Wintern war die Vorratswirtschaft überlebenswichtig, da man nicht wie in anderen Regionen einfach in den Urwald gehen konnte, um den Lebensunterhalt direkt von den Bäumen zu pflücken. - Für die meisten Menschen besteht aber heute diese Notwendigkeit nicht mehr. Warum also sammeln wir ?

Unter „sammeln“ werde hier jedoch nicht die psychisch, krankhafte Ausprägung des „Müllsammelns im eigenen Haus“ verstanden sondern das „normale sammeln“ von Briefmarken, Gartenzwergen, Bildern, Trophäen, Käfern, Kronenkorken, Autos, Muscheln, Waffen, Musikinstrumenten, Bierdeckeln, Schmuck, Münzen oder Autogrammen; hierbei fallen die ganz unterschiedlichen Anspruchshaltungen auf, und nichts dergleichen kann mit der oben angesprochenen Lebensnotwendigkeit in Verbindung gebracht werden. - Mitunter sind es aber auch Dinge, welche z.B. nach der Mangelwirtschaft eines Krieges gesammelt werden : vielleicht ein Nagel, wenn auch verrostet und geradegebogen, der ja irgendwann einmal gebraucht werden könnte zu einer möglichen Zeit, wo man ihn kaum irgendwo kaufen kann. - Oder wie ist der über viele Jahrzehnte völlig verstaubte Hochzeitsstrauß einzuordnen, der im Schlafzimmer der Großmutter hing ? Für die meisten wäre dieser Strauß gewiß wertlos aber für die Großmutter war er von überragender Bedeutung ! Gerade an diesem letzten Beispiel wird deutlich, daß „sammeln“ eine zutiefst subjektive Leidenschaft ist und unter Umständen von Außenstehenden als skurriles Hobby angesehen wird.

Gesammelte Gegenstände erleichtern auf der einen Seite das Erinnern, was man jedem zugestehen möchte, aber auf der anderen Seite können sie auch Ausdruck der Habgier sein, wenn man an die aberwitzigen, psychologisch hochgepushten Versteigerungsergebnisse etwa bei Gemälden oder anderen Kunstobjekten denkt, wo hinter dem Kauf schon die sichere Gewinnerwartung des nachfolgenden Verkaufs steckt. - An dieser Stelle soll jedoch nicht geleugnet werden, daß neben dem immateriellen Wert in einer 'echten' Sammlung auch ein materieller Wert steckt, der dem ideellen Sammler höchstens in Notzeiten vielleicht zugute kommen könnte. Es ist allerdings wirklich zu hoffen, daß eine derartige Notzeit möglichst ein schlechter Traum bleibt, denn wahrscheinlich wird man nur mit Verlusten verkaufen können, und es würde letzlich auch die Auflösung einer Sammlung bedeuten.

Das Sammeln von Käfern ist hingegen von ganz anderer Art; vielleicht ist es die Äthetik, die den Auslöser bildete. Auf jeden Fall steckt dahinter die Neugier und der Wunsch, den nächsten Käfer in das bestehende System einzuordnen und an der richtigen Stelle einzufügen. Hier möchte der Sammler die Natur und ihre Systematik verstehen. Dieses wissenschaftliche Sammeln generiert Neues und neue Ideen und zwingt zur wissenschaftlichen Auseinander- setzungen in der Öffentlichkeit. Da Sammlungen in der Regel unvollständig sind, stellen sie ähnlich wie die Wissenschaft selbst ein offenes System dar. Und was für Käfer gilt, gilt im gleichen Sinne auch für Schmetterlinge, Muscheln, Mineralien, Meteoriten oder alte Fernrohre. Ja ist nicht selbst die ganze Wissenschaft das Ergebnis einer Sammelleidenschaft vieler Persönlichkeiten für wissenschaftliche Fakten, um die Verzahnung des Weltgefüges besser durchschauen und verstehen zu können ? Generieren Sammler mit ihrem Sammelgut nicht auch Geschichte und Geschichten mit oftmals sogar historischem Aspekt ?

Auf jeden Fall regt das Sammeln die Phantasie an, was sich gelegentlich soweit entwickeln kann, daß sich der Mensch gar nicht mehr über seine tägliche Arbeit sondern über sein Steckenpferd bzw. über seine Sammlung definiert, zu der er in all den Jahren eine Art Beziehung aufgebaut hat. Nach dem Motto „gleich zu gleich gesellt sich gern“ verbindet er sich dann mit anderen, um über die Sammlung zu kommunizieren. Oder ist es vielleicht doch noch mehr ?

Ist es nicht der Wunsch eines jeden Menschen, zu bewahren, vielleicht weil es ihm schwerfällt, wegzuwerfen, was einmal eine Bedeutung für ihn hatte, an die er sich gern erinnert ? Braucht es bei manchen Dingen nicht einfach seine Zeit, bis man bereit ist, etwas abzugeben oder wegzuwerfen wie alte Schulhefte oder -bücher, alte Arbeiten oder ausgeschnit tene Zeitungsartikel, weil sie überholt sind ? Oder wird der Mensch von der Illusion genährt, daß er im übertragenen Sinne etwas in die Unendlichkeit hinüberretten könnte bzw. daß er etwas über die eigene Vergänglichkeit hinaus bewahrt wissen will ?

Aufschluß geben könnte in diesem Zusammenhang ein Interview von Claudia Wüstenhagen in „Psychologie“ mit Prof. Dr. Paul Boom in dem Artikel „Abscheu ist auch eine Form von Vergnügen“. Der Psychologe Paul Bloom erforscht die skurrilen Seiten der Menschen : Warum sie an wertlosen Dingen hängen, eine weiße Leinwand für Kunst halten – und warum Männer von Sex mit einer Jungfrau träumen.

Wir reagieren bei einem Gemälde auch auf unsichtbare Eigenschaften : wer es gemalt hat, was der Maler dabei gedacht und empfunden hat. Es geht um etwas Ideelles, das dem Werk innewohnt. Deshalb ist ein Original mehr wert als eine Fälschung, selbst wenn wir den Unterschied nicht erkennen. Wie wir etwas wahrnehmen, wird durch unsere Gedanken darüber beeinflußt. Selbst Wasser schmeckt besser, wenn man annimmt, es stamme aus einer Quelle und nicht aus der Leitung.

Es ist eine faszinierende Eigenschaft des Menschen, daß ein simples Objekt ohne materiellen Nutzen einen enormen Wert haben kann – allein wegen unserer Vorstellung davon, woher es stammt, welche Geschichte es hat. Das gilt nicht nur für einen Rembrandt. Die Menschen zahlen auch astronomische Summen für die Golfschläger von John F. Kennedy oder den Handschuh von Michael Jackson.

Es ist gut für uns, wenn wir andere Menschen betrachten und sagen : Du bist nicht nur die Summe dessen, was ich sehe und höre, in dir geht auch etwas vor. Du hast einen Geist, eine persönliche Geschichte.

Wir hängen auch an Gegenständen, mit denen uns selbst eine Geschichte verbindet. Fast jeder hat etwas, das für ihn unersetzbar ist, obwohl der materielle Wert gegen null geht. - Man kann an Kindern zeigen, daß die Bindung zu Objekten aufgrund der eigenen Geschichte schon sehr früh auftritt.“

Fast noch mehr beeindruckt die Idee des „Höhlenmenschen-Prinzips“ dargestellt in dem Buch des theoretischen Physikers Prof. Dr. Michio Kaku „Die Physik der Zukunft – unser Leben in 100 Jahren“ rowohlt, 4. Auflage Januar 2013. Dort heißt es unter anderem im Kapitel „Das Höhlenmenschenprinzip“ :

„ … genetische und fossile Belege sprechen dafür, daß der moderne Mensch, der genauso aussah wie wir, vor mehr als 100 000 Jahren aus Afrika kam, doch nichts spricht dafür, daß sich unser Gehirn und unsere Persönlichkeit seitdem stark verändert haben ... auch unsere Wünsche, Träume, Persönlichkeiten und Begierden haben sich in diesen letzten 100 000 Jahren wohl nicht grundlegend verändert. Wahrscheinlich denken wir noch immer so wie unsere höhlenbewohnenden Vorfahren … so verlangte der Höhlenmensch beispielsweise stets einen 'Beweis für den Jagderfolg'. Es reichte nicht aus, mit der fetten Beute zu prahlen, die man beinahe erwischt hätte. Die frisch getötete Beute in der Hand war stets mehr wert als Geschichten über Beute, die entkommen war … Und so nehmen Fans viele Mühen auf sich, um ein persönliches Autogramm 'ihres' Lieblingsschauspielers zu ergattern, obwohl sie sich kostenlos ein signiertes Bild aus dem Internet herunterladen könnten … “.

Besser kann man die tiefer reichenden Motive wohl kaum beschreiben. - Oder ist es doch eher so, daß nicht der Besitz der Sammlung allein befriedigt sondern das Sammeln selbst, also das Auffinden, Entdecken und Einordnen von Objekten, welche die Sammlung vervoll- ständigen und die Historie immer gründlicher abrunden ? - Wie geht man aber jetzt am besten praktisch vor ?

Wenn es dem Menschen wie mir eher peinlich ist, vielleicht in Ausnahmefällen eine Persönlichkeit in direkter Ansprache um ein Autogramm zu bitten, so bleibt ihm nur übrig, dasselbe käuflich zu erwerben. Bei verstorbenen Persönlichkeiten ist dies ohnehin unum- gänglich. Ein empfehlenswerter Weg ist dann der Kontakt mit anderen Sammlern, vielleicht sogar in einer Arbeitsgemeinschaft oder einem Verein. Alternativ könnte das mit einem gewissen Risiko behaftete Internet weiterhelfen oder eine Bestellung über diverse Festpreiskataloge von soliden Händlern, welche auch auf Fälschungen aufmerksam machen und bei denen man unter Umständen schnell reagieren muß. Wie groß ist dann nicht selten die gespannte Vorfreude auf den zunächst noch unbekannten nächsten Neuerwerb bei einem überschaubaren nicht zu groß angelegten Sammelgebiet ? Ein zugegebenermaßen etwas riskanterer Weg wären Auktionen. Riskant mit Suchtpotential deshalb, weil hier direkt die Psychologie ins Spiel kommt und mehrere Unbekannte den Korb zu hoch hängen könnten. Ganz wichtig ist in diesem Fall, die Erdung nicht zu verlieren und einen klaren Kopf zu behalten. Manchmal geht leider bei dieser „Methode“ auch etwas durch die Lappen, dem man aber nicht nachtrauern sollte. Man braucht hier eigentlich nur etwas Geduld in der Zeit, um irgendwann das Gewünschte zu erreichen.

Und dann ? – sollte sich schließlich nach vielen, vielen Jahren des Sammelns in einer stillen Stunde des Zurückschauens und Betrachtens der Sammelobjekte endlich das glückliche Gefühl einstellen, etwas mit Hand und Fuß aufgebaut und geschaffen zu haben, das zwar nicht vollständig aber doch eine inhaltsvolle Geschichte erzählen kann, die abgerundet wirkt und möglicherweise auch eine neue Perspektive öffnet ! Ist das etwa alles ? – In einer ganz andersartigen, mehr emotionalen Ebene kann das Inderhandhalten eines handgeschriebenen Schriftzuges einer verehrten, geachteten Persönlichkeit sogar berührende Schauer über den Rücken laufen lassen, was sich durch keinen irdischen Preis aufwiegen läßt – dann halte ich inne und denke : auch wenn einmal die Menschheit ihr über Jahrtausende gesammeltes Wissen verlieren sollte und das ist gewiß, so war es dennoch lohnend, sich stets denen nahe zu wissen, welche mit der Mühsal ihres Lebens dieses Wissen geschaffen und über Generationen erworben und weitergegeben haben !

Für meine Enkel am 29.3.2013
geschrieben von Jan van der Lip