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12 Oktober 2013

Das Sammeln von Autographen: Eine individuelle und rein subjektive Betrach- tung ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit

Posted in Sammlerchannel

von Wolfgang Reitzi

Wie alles begann.

Zum Autographensammler bin ich erst in meinen „reifen“ Jahren geworden. Bis dahin, und auch heute noch, war und bin ich Sammler von Bildern. Dabei lernte ich viele Händler und Galerien kennen und trieb mich in den verschiedensten Auktionshäusern herum. 

Da gab es immer wieder Auktionen von Autographen. Ich blätterte die Kataloge durch, so manches Stück erregte meine Aufmerksamkeit, aber der Funke sprang nicht über. Ich muss dazu sagen, dass ich in erster Linie ein Amateurhistoriker bin und als dilettierender Gelehrter der Geschichte wenig Interesse an einem Handschreiben von Zeppelin über Auftriebsprobleme mit Luftschrauben hatte.

Bei solch einer Auktion fielen mir drei Positionen auf. Es waren österreichische und bayerische Regierungsdru- cke aus dem 18. und 19. Jahrhundert, je Losnummer ein Konvolut von ca. 100 Drucken. Hier fanden sich Ver- ordnungen, Zollvorschriften, Verhaltensregeln, Ermahnungen und Erlasse aus allen Lebensbereichen.

Nicht dass ich nun ein Sammler von Regierungsdrucken geworden wäre. Ich kaufte diese Schriftstücke zum Weiterschenken, stand ich doch immer vor dem Problem, was schenke ich einem saturierten Menschen zu ei- nem gewissen Anlass, der schon alles hat. Gelegenheiten boten sich viele.

Da erhielt ein Rechtsanwalt, Spezialist in Konkursangelegenheiten, die Verordnung der Stadt Regensburg über den Umgang mit Gemeinschuldnern aus dem Jahr 1822, ein anderer, spezialisiert im Strafrecht, einen Erlass von Kaiserin Maria Theresia über die strenge Bestrafung von Wegelagerern und anderen Spitzbuben, ein be- freundeter Arzt der Allgemein Medizin Verhaltensregelungen bei epidemisch auftretenden Krankheiten in Mün- chen aus dem Jahr 1742. Ein besonderer Treffer war das Geschenk an einen Rechtsanwalt, der gelegentlich (oder doch häufiger als zugegeben) als Strafverteidiger im Rotlichtmilieu tätig war. Er bekam eine Polizeiver- ordnung der Stadt Prag aus dem Jahre 1798 über die Lebenseinschränkungen der Lust- und Schanddirnen.

Schön gerahmt und hinter Glas, überreicht mit ein paar launigen Worten, verfehlen solche Geschenke kaum ihr Wirkung und heben sich von den gängigen Präsenten wie Cognac und Zigarren vorteilhaft ab. Einige der Be- schenkten haben gleich zu Hammer und Nagel gegriffen und das eben Erhaltene an Ort und Stelle aufgehängt. Die Prager Dirnenverordnung prangt heute noch im Büro jenes Anwaltes. Er zeigt sie gelegentlich seinen Klien- tinnen, wenn sie sich über die Bedingungen ihrer Berufsausübung beschweren und verweist auf Prag zu Ende des 18. Jahrhunderts und wie gut es ihnen gegenwärtig eigentlich ginge.

Noch heute sitze ich auf einem Packen von Regierungsdrucken und warte die Gelegenheit ab, wieder jemand damit zu beschenken. Autographensammler bin ich deshalb nicht geworden.

Ich bin ein großer Verehrer von Goethe. In meiner Bibliothek finden sich einige Erstausgaben und andere bibli- ophile Raritäten dieses großen Geistes (der übrigens auch ein bedeutender Autographensammler war). Auch habe ich eine Sammlung von Faust-Übersetzungen in andere Sprachen, darunter eine ins Chinesische. Was ich nicht hatte, war ein Autograph dieses von mir so hoch geschätzten Mannes.

Goethe war der Überschlag des Funkens, die Initialzündung zum Beginn meiner Sammlertätigkeit von Autogra- phen. In einem Auktionskatalog fand ich einen Brief Goethes. Es war ein hartes Bietergefecht, aus dem ich als Sieger hervorging.

Ich erinnere mich noch an den Tag, als ich von der Auktion nach Hause kam und meiner Frau den Brief zeigte. Ich schäme mich dessen nicht, ich hatte Tränen in den Augen. Ein Blatt Papier, das vor über 200 Jahren Goe- the in der Hand hatte und beschrieb, war nun in meinem Besitz. Längst ist der Brief gerahmt und hängt in Au- genhöhe neben meinem Schreibtisch. Verehrt wie eine Reliquie.

Die Grenzen des Sammelns

Das Sammeln von Autographen erfordert viel Disziplin. Zu groß ist die Gefahr der Verzettelung. Leicht kann die Tätigkeit ins Uferlose ausborden.

Es gibt im Grunde genommen nur eine wirkliche Grenze der Sammeltätigkeit: die zur Verfügung stehenden Geldmittel. Betrachtet man die Auktionsergebnisse der letzten Jahre, so lässt sich unschwer ein Aufwärtstrend bei Autographen berühmter Persönlichkeiten erkennen. Besonders Komponisten scheinen von Preissteigerun- gen besonders betroffen zu sein. Enthält der Autograph noch Noten, sei es ein Zitat oder gar eine eigenständi- ge Komposition, so ist schnell der sechsstellige Bereich in Sicht.
 
Auch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Autographen zunehmend als reine Geldanlage dienen. „Flucht in die Sachwerte“ nennen das die Finanzexperten. Viele Menschen (ich möchte sie gar nicht als Samm- ler bezeichnen) erwerben teure Stücke, ohne eine innere Beziehung dazu zu haben.

Es fällt auf, dass auf Auktionen Autographen von großer Seltenheit von anonymen Käufern erworben werden, und genau diese Stücke nach einiger Zeit in Händlerkatalogen um das Doppelte bis Dreifache des Auktions- preises angeboten werden. Diese Methode scheint zu funktionieren: die Angebote finden ihre Käufer. Offen- sichtlich haben Händler mit ihren Katalogen einen guten Zugang zu Käuferkreisen, denen Geldveranlagung in Sachwerten im modischen Trend liegt.

Ein von mir geschätzter Händler hat mir einmal gesagt, dass Autographen in einem Zyklus von etwa dreißig Jahren wieder im Handel auftauchen. Er erklärte diese Zeitspanne (die natürlich nur ein grober Richtwert ist) damit, dass Sammlungen aufgebaut werden, die nach dem Tod des Sammlers mangels Interesse der Erben an so einem hochkomplizierten und profundes Wissen voraussetzenden Sammeltätigkeit, verkauft werden.

Ob sich dieser Dreißigjahrezyklus für gewisse Stücke verkürzen wird, wenn sich die wirtschaftliche Situation wieder ändert, wird sich zeigen. Ich werde es nicht mehr erleben.

Die geistige Auseinandersetzung

Autographen sammeln bedeutet für mich in erster Linie die Beschäftigung mit dem erworbenen Stück. Der äu- ßerliche Vorgang ist einfach. Zuerst wird ein Deckblatt geschrieben, mit Namen, Lebensdaten und Kurzbe- zeichnung des Autographs. Dann fertige ich eine Kopie des Katalogtextes an. Alles kommt in eine Klarsichthül- le.

Nun beginnt die schöne und für mich erfüllende Arbeit der intensiven Beschäftigung mit dem Schreiber, mit dem Adressaten und mit den Personen, die im Autograph angesprochen sind sowie mit allen mir wichtig erscheinen- den Fakten des Sammlerstücks. Ich recherchiere in Lexika, in der Fachliteratur, natürlich auch im Internet und trage alles zusammen was mir wichtig erscheint. Es werden Kopien von den Fundstellen angefertigt und schließlich noch ein selbstverfertigter Text geschrieben. Alles zusammen kommt in eine Mappe und wird abge- legt. Das Autograph selbst hat eine eigene Hülle oder wird gerahmt und in meinem Arbeitszimmer aufgehängt (ich bin in der glücklichen Lage über ausreichend freie Wandflächen zu verfügen). Das erfordert natürlich viel Zeit. Einige Stunden ist der Regelfall, jedoch habe ich Autographen, die mich schon tagelang beschäftigt haben. Da muss ich manchmal in öffentliche Bibliotheken oder Archive gehen und Nachforschungen anstellen.

Das Schöne (oder Gefährliche?) dabei ist, dass man vom Hundertsten ins Tausendste kommt und sich kein Ende der Recherche abzeichnet. Es entsteht bei manchen Autographen eine regelrechte Gier, recht viel aus dem Leben des Schreibers zu erfahren. Tauchen dann noch andere Figuren auf, die ebenfalls wert scheinen hinterfragt zu werden, muss man manchmal brutal zum eigenen Intellekt sein und die Sache abschließen, ohne die Wissbegier restlos befriedigt zu haben.

Grundkenntnisse der historischen Hilfswissenschaften sind nicht nur eine Erleichterung beim Studium der Auto- graphen, sondern vielmehr eine Bereicherung. Ich besitze eine Reihe prachtvoller Stücke mit eingeflochtenem Wachssiegel in einer Holzkassette, Kaiserliche Dokumente tragen meist ein papiergedecktes Siegel. Hier sind Kenntnisse in der Sphragistik gefragt. Die Sphragistik bleibt aber ohne Vertrautheit in der Heraldik ein spani- sches Dorf. Als Sammler historischer Autographen ist man förmlich gezwungen, sich mit den Randgebieten der Geschichtswissenschaft auseinander zu setzen. Als ganz wichtig stufe ich die Paläographie ein. Die Kenntnis von Schriften ist doch für das Lesen von Autographen unerlässlich.

Meine Sammelgebiete

Ich sammle historische Autographen aus drei Gebieten und dann gibt es noch die „Herzensecke“. Ein Gebiet sind Römisch-Deutsche Kaiser. Diese Teilsammlung kann ich als (fast) abgeschlossen ansehen. Von Albrecht II. bis Franz II. liegt sie lückenlos vor. Die Stücke sind unter Glas und zieren den Eingangsbereich meines Hau- ses.

Von abgeschlossen kann nicht die Rede sein, wenn ich die anderen zwei Bereiche ansehe: der 30jährige Krieg und die Französischen Religionskriege. Solche Gebiete können nie vollständig sein.

Zuerst zielt man auf die Hauptpersonen. Im 30jährigen Krieg sind dies Wallenstein und sein großer Gegner Gustav Adolph. Dann kommen die wichtigsten Generale und Obristen. Tilly, der Magdeburg in Schutt und Asche legte, Trautmannsdorff, Octavio Piccolomini, Caraffa, Pappenheim. Es besteht die Gefahr der Verzette- lung.

Immer wieder greife ich nach den literarischen Hauptwerken: Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges als bereits selbst historische Quelle, und Golo Manns Wallensteinbiographie als modernes Werk der Geschichtsschreibung.
Man kann sich nicht vorstellen, welche Befriedigung es ist, einen Brief eines Obristen vor sich liegen zu haben und nun dessen Spur in den beiden erwähnten Hauptwerken zu verfolgen. Es vergehen Tage!

Auf Auktionen tauchen immer wieder Briefe auf, in denen sich Bürgermeister von kleinen Ortschaften bei der militärischen Führung über das Verhalten der Soldaten (oder sollte man besser der Soldateska sagen?) be- schweren, wie sie ihre Weiber vergewaltigen, ihr Vieh aus den Ställen treiben und Dein von Mein nicht unter- scheiden können. Hier kann man anschaulich nachlesen, was Schiller im Prolog zu Wallenstein so trefflich in Worte kleidet:

Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles, Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn, Und rohe Horden lagern sich, verwildert
Im langen Krieg, auf den verheerten Boden.


Antwortschreiben der Generalität auf solche Beschwerdebriefe habe ich nicht in meiner Sammlung und zwar deshalb nicht, weil sie offensichtlich nie geschrieben wurden.

Noch umfassender und weitläufiger ist das Gebiet der Französischen Religionskriege. Auch hier habe ich eine profunde literarische Vorlage: „Die Jugend und die Vollendung des Königs Henri Quatre“ von Heinrich Mann.

Ist der Dreißigjährige Krieg, ganz simplifiziert ausgedrückt, auf den mitteleuropäischen Raum fokussiert, so ufern die Französischen Religionskriege nach Europa aus. Das Ende des Hauses Valois (einer der letzten Kö- nige war mit Maria Stuart verheiratet), der Beginn des Hauses Bourbon, die großen Gegenspieler aus dem Ge- schlecht der Guise, die Familie der Medici, die verwandtschaftlichen Verknüpfungen zu den Spanischen Habs- burgern und darüber die Kirche mit mehreren Päpsten und unzähligen Kardinälen, alle haben sie mitgeredet und zur Freude des Autographensammlers auch viel geschrieben.

Man reise einmal durch das Tal der Loire mit seinen über hundert Schlössern und vertiefe sich ein wenig in die- se Zeit. Allein was die Gefährten Heinrichs IV auf seinem Weg nach Paris, das ihm eine Messe wert war, ge- schrieben haben, sind eine Fundgruben für den Sammler. Die in der Bartholomäusnacht ermordeten Protestan- ten haben vor dieser grauenvollen Nacht untereinander korrespondiert und Kontakte zu ausländischen Gesin- nungsgenossen unterhalten. Glücklicherweise sind viele dieser Briefe erhalten geblieben und auch heute noch zu erschwinglichen Preisen zu finden.

Zum Abschluss möchte ich noch meine „Herzensecke“ vorstellen. Das ist kein geschlossenes Sammelgebiet. Hier sind nur Einzelstücke von Autographen bedeutender Persönlichkeiten die mir ans Herz gewachsen sind.

Der bereits erwähnte Brief von Goethe ist der Kern der Sammlung. Der Weimarer Dioskur Schiller an seiner Seite, darunter Grillparzer und Doderer, flankiert von einem Brief Richard Wagners, der einen Wiener Hofrat um Geld anpumpt und einer Weinbestellung Giuseppe Verdis. Dazwischen einige Zeilen von Anton Bruckner mit Noten (Beginn des Adagios seiner 7. Symphonie). Ein Maler darf nicht fehlen. Die charakteristische Schrift von Egon Schiele, mehr gemalt als geschrieben.

Zu Goethe möchte ich noch etwas hinzufügen. Das Thema „Frauen um Goethe“ fasziniert wohl jeden Verehrer des Meisters. Es gibt jedoch eine Frauenfigur, zu der ich im Laufe meines Lebens ein ambivalentes Verhältnis habe. In meiner Jugend hat mich Goethes Verhalten zu Ulrike von Levetzow eher abgestoßen. Es war Goethes letzte Liebe. Der 72jährige verliebt sich in Marienbad in die 17jährige und macht ihr einen Heiratsantrag, den sie ablehnt. Als junger Mensch hatte ich Verständnis dafür.

Da ich mich nun unaufhaltsam dem Alter Goethes in Marienbad nähere, sehe ich die Dinge anders. Die „Ma- rienbader Elegie“, die Stefan Zweig als das größte lyrische Werk der Weltliteratur bezeichnet, die Goethe nach Ablehnung seines Antrags schrieb und die ich jahrzehntelang nicht verstand, öffnet sich mir nun. Ich sehe alles in einem anderen Licht.

Ulrike blieb unverheiratet. Die Frage, was zwischen ihr und Goethe vorgefallen war, beantwortete sie mit dem Satz: „Keine Liebschaft war es nicht“. Jetzt wissen wir wieder nichts!

Vor einem Jahr wurde auf einer Auktion in Berlin ein Brief von Ulrike angeboten. Er hängt nun gerahmt unter dem Brief Goethes, mit dem alles begann. 

Artikel zu finden bei:

http://www.ada1986.de